Mit mehr Interkultureller Kompetenz in Hochschulen und Wissenschaft dem Fachkräftemangel entgegenwirken

Interkulturelle Kommunikation

Der Fachkräftemangel ist aktueller denn je. In den Jahren 2021 und 2022 blieben durchschnittlich 500.000 Stellen in Deutschland in jedem Monat unbesetzt (1). Durch den demografischen Wandel wird sich diese Entwicklung noch zusätzlich verstärken, weswegen Fachkräfte aus anderen Kulturen immer wichtiger werden, um Wirtschaftsleistung und Lebensqualität zu erhalten.

Ein wichtiges Einfalltor hierfür sind Hochschulen, Forschungsprojekte und Wissenschaft. Viele Fachkräfte der Zukunft werden hier ausgebildet und Forschungsprojekte ziehen Talente sowie kluge Köpfe aus aller Welt an. Doch obwohl dieser Sektor so bedeutsam für die Versorgung mit Fachkräften aus anderen Ländern ist, gibt es in der Betreuung und Integration erheblichen Nachholbedarf. 

So bricht knapp die Hälfte der international Studierenden (49%) ihr Bachelorstudium vorzeitig ab, bei den Master Studiengängen sind es 26 Prozent. (2) Die Gründe hierfür sind vielfältig, können zu einem beachtlichen Teil aber auf eine erschwerte Akklimatisierung mit der deutschen Kultur zurückgeführt werden. Unter den internationalen Promovierenden sind die Fälle von Depressionen und häufigen Angstzuständen deutlich höher als im Durchschnitt und viele klagen über mangelnde Betreuung und Unterstützung. (3)

Diese Zahlen zeigen, dass die Integration und der Umgang mit Studierenden und Doktorand:innen aus anderen Kulturen noch deutliches Verbesserungspotenzial aufweist. Und da Hochschulen und Wissenschaft sowohl für die Ausbildung von Fachkräften als auch für die Weiterentwicklung der Gesellschaft im Gesamten eine sehr wichtige Rolle spielen, haben positive Veränderungen auf diesem Gebiet sowohl im wirtschaftlichen als auch im gesellschaftlichen Sinn einen großen Einfluss. Doch wie können wir es schaffen, potenziellen Fachkräften aus anderen Ländern den Start in Deutschland zu erleichtern?

Interkulturelle Kompetenz muss in allen Bereichen gefördert werden

Wie jede:r Studierende aus Deutschland haben auch die Promovierenden und Studierenden aus anderen Nationen im Alltag Berührungspunkte mit den verschiedensten Bereichen der Hochschule. Neben der akademischen Betreuung durch Professor:in oder Gruppenleiter:in gibt es weitere wissenschaftliche Mitarbeitende, Kolleg:innen, Mitarbeiter:innen in der Verwaltung oder zum Beispiel der Mensa.

Jeder dieser Kontaktpunkte birgt das Potenzial für Missverständnisse oder Schwierigkeiten im zwischenmenschlichen Bereich. So können die Absprache und das Einhalten bestimmter Termine im wissenschaftlichen Arbeitskreis herausfordernd sein, wenn verschiedene Kulturen mit einem anderen Verständnis von Zeit und Pünktlichkeit zusammenarbeiten. Auch das Ausfüllen von Formularen kann schwierig werden, wenn es Missverständnisse durch Sprachbarrieren gibt und nur mangelnde Hilfestellung für das Ausfüllen der Formulare vorhanden ist. (4)

All das könnte man einzeln betrachtet als Kleinigkeit abstempeln. In der Gesamtheit sorgen viele kleine Missverständnisse und Ungereimtheiten aber für Unzufriedenheit und die eingangs erwähnten Zahlen.

Aus diesem Grund ist es wichtig, Interkulturelle Kompetenz in jedem Bereich von Hochschule und Wissenschaft zu fördern. Kolleg:innen in wissenschaftlichen Projekten müssen hierfür ebenso über das Wissen und geeignete Strategien verfügen wie die Mitarbeitenden in der Verwaltung. Nur wenn jede:r konstruktiv mit den Herausforderungen von unterschiedlichen Kulturen umzugehen weiß, entsteht eine Willkommenskultur die für die Integration von klugen Köpfen und Fachkräften aus anderen Ländern so immens wichtig ist. Doch welche Fähigkeiten müssen hierbei konkret geschult werden?

Die 3 Ebenen von Interkultureller Kompetenz

Interkulturelle Kompetenz wird häufig auf das reine Wissen um kulturelle Besonderheiten reduziert, so beispielsweise auf Unterschiede in der Kommunikation, oder in den Traditionen, oder auch auf bestimmte Dinge, die als höflich oder unhöflich gelten. Dieses Wissen ist auch sehr wichtig, beschreibt aber nur die kognitive Ebene der Interkulturellen Kompetenz. 

Um eine umfassende Willkommenskultur zu schaffen, müssen hierfür 3 verschiedene Ebenen berücksichtigt werden:

Affektive Ebene: Innere Haltung und Emotionsmanagement

Kognitive Ebene: Bezieht sich auf das Wissen

Performative Ebene: Handlungskompetenzen

Die affektive Ebene beschreibt dabei die innere Einstellung, mit der wir Menschen aus anderen Kulturen begegnen. Kommt es bei Dingen, die für uns ganz selbsterklärend und selbstverständlich sind zum Beispiel zu Missverständnissen, reagieren viele von uns gereizt oder abweisend. Ein solches Verhalten sorgt bei Menschen aus anderen Kulturen, die es in diesem Moment einfach nicht besser wissen, für Unmut und das Gefühl von Ablehnung.

Es ist daher wichtig, einen Perspektivwechsel vorzunehmen und sich in die Lage der anderen Person hineinzuversetzen: Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie in einem fremden Land wären und ein Formular gerade zum ersten Mal ausfüllen? Wahrscheinlich wären Sie für Geduld und Unterstützung sehr dankbar. Und genau diese Qualitäten gilt es, Menschen aus anderen Kulturen entgegenzubringen. Mit Empathie und Geduld lassen sich viele Missverständnisse vermeiden und das Gegenüber fühlt sich gesehen, respektiert und willkommen.

Zum Perspektivwechsel gehört es auch, die eigene Kultur zu reflektieren und mit Abstand zu betrachten. Wie wirken wir eigentlich auf Außenstehende? Ein Bewusstsein über die Besonderheiten der deutschen Kultur trägt ebenfalls dazu bei, Missverständnisse zu vermeiden und dem Gegenüber das Gefühl zu geben, willkommen zu sein.

Die kognitive Ebene beschreibt das reine Wissen um kulturelle Unterschiede und Gepflogenheiten. Dieses Wissen lässt sich am besten durch interkulturelle Trainings vermitteln. 

Die performative Ebene beschreibt konkrete Strategien, um mit Missverständnissen richtig umzugehen, denn manchmal lassen sich diese einfach nicht vermeiden. So kann es bei Formularen sinnvoll sein, eine englische Übersetzung vorbereitet zu haben oder mit einem Online Übersetzer bestimmte Punkte zu erklären. Auch eine Betreuung durch eine Person aus der Organisation, die die Muttersprache spricht, kann eine wirksame Strategie sein, um Missverständnissen entgegenzuwirken. Um in solchen Situationen helfen zu können, ist es hilfreich, die Lösungen bereits im Vorfeld vorbereitet zu haben.

Fertigkeiten zur Förderung von Interkultureller Kompetenz

Die Wirksamkeit dieser drei Ebenen wird maßgeblich durch die entsprechenden Fähigkeiten der Mitarbeitenden in Hochschule und Wissenschaft bestimmt. Wer beispielsweise gelernt hat, sich in andere Menschen hineinzuversetzen, kann dieses Wissen in jeder Begegnung mit anderen Kulturen anwenden. Diese Fertigkeiten sind selbstverständlich auch auf anderen Gebieten wertvoll. Die Kernfähigkeiten für Interkulturelle Kompetenz sind dabei die folgenden:

  • Fähigkeit zur Selbstreflexion
  • Empathie
  • Kreativität
  • Toleranz, wenn es zu Abweichungen vom erwarteten Verhalten kommt
  • Kommunikation
  • Verhaltensflexibilität
  • Konfliktlösungskompetenz
  • Offenheit für Neues
  • Fähigkeit zum Perspektivwechsel

Eine Weiterentwicklung auf diesen Gebieten fördert immer auch die Interkulturelle Kompetenz innerhalb einer Organisation.

Fazit

Um die Interkulturelle Kompetenz in Hochschulen und der Wissenschaft zu fördern, müssen wir uns vom reinen Fokus auf das Wissen um kulturelle Unterschiede lösen. Soft Skills wie Empathie, Kommunikationskompetenz und die Fähigkeit zum Perspektivwechsel sind ebenso bedeutsam wie konkrete Strategien zur Lösung von Missverständnissen und Schwierigkeiten.

Die Energie, die wir in diese Gebiete investieren, sorgt für eine Willkommenskultur auf allen Ebenen. Auf diese Weise können die Hochschulen und Forschungsprojekte in Deutschland zu einem Magneten für Fachkräfte aus anderen Kulturen werden. Eine Entwicklung, von der sowohl die Wirtschaft als auch die Gesellschaft in ihrer Vielfalt profitieren.


Dieser Blogbeitrag ist eine Zusammenfassung des folgenden Artikels:

Hiller, Gundula Gwenn, Zeitgemäße interkulturelle Kompetenzentwicklung in Hochschule und Wissenschaft; in: Personal in Hochschule und Wissenschaft entwickeln, Ausgabe 1, 2023; S. 49-63.

Quellen:

(1) https://www.deutschlandfunk.de/arbeitsmarkt-fachkraeftemangel-zuwanderung-arbeitslosigkeit-deutschland-100.html

(2) https://static.daad.de/media/daad_de/pdfs_nicht_barrierefrei/der-daad/was-wir-tun/daad_sesaba_abschlussbericht.pdf

(3) https://www.phdnet.mpg.de/180599/2_PhDnet_Survey_Report_2020.pdf

(4) Viele Beispiele hierfür finden sich in meinen Publikationen : Eine Frage der Perspektive 1 (zur Publikation) und Eine Frage der Perspektive 2 (zur Publikation)

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